Auszug: "In der tiefen Fensternische des lichterhellen Saals brannte nur eine einzelne Kerze auf silbernem Leuchter, den eine geflügelte Figur mit beiden Armen emporhielt. Der bescheidene Glanz wurde noch gedämpft durch schattige Gewächse mit breiten Blättern und den letzten Blüten des Jahres, und eine schlanke Palme überwölbte zierlich mit ihren leichten Zweigen den Eingang in die dämmrige Laube. Zwei Sessel standen darin traulich einander gegenüber. Aber der eine war leer. In dem andern ruhte eine schlanke Frauengestalt, das Haupt auf die Hand gestützt, die Augen geschlossen. Wer sie im Verdacht hatte, dass sie sich aus der muntern Gesellschaft in dies grüne Versteck zurückgezogen habe, um nur desto mehr bemerkt und aufgesucht zu werden, tat ihr Unrecht. Sie dachte durchaus nicht daran, wie zart das Helldunkel der Palme über ihre schöne Stirne fiel, wie weich und mondscheinhaft der Schein der Kerze in den Ringen ihres schwarzen Haares spielte. Noch auch benutzte sie, während am andern Ende des Saals eine sanfte Mädchenstimme zum Klaviere sang, die verstohlene Einsamkeit dazu, Gedanken nachzuhängen, wie sie wohl in der Sommerblüte des Lebens hinter geschlossenen Augenlidern ihr Wesen treiben. Denn, um es kurz zu sagen: die Musik, der sie Anfangs mit halbem Ohr gefolgt war, hatte sie endlich wie ein müdes Kind in Schlaf versenkt."
Paul Johann Ludwig Heyse, ab 1910 von Heyse (* 15. März 1830 in Berlin; † 2. April 1914 in München) war ein deutscher Schriftsteller, Dramatiker und Übersetzer. Neben vielen Gedichten schuf Heyse rund 180 Novellen, acht Romane und 68 Dramen. Heyses Biograf Erich Petzet rühmte die „Umfassenheit seiner Produktion“. Die Ausgabe der Werke, die Petzet 1924 besorgte, umfasst drei Reihen von je fünf Bänden, von denen jeder rund 700 Seiten zählt (darin sind nicht alle Werke enthalten). Der einflussreiche Münchener „Dichterfürst“. Heyse pflegte zahlreiche Freundschaften und war auch als Gastgeber berühmt. Theodor Fontane glaubte 1890, dass Heyse seiner Epoche „den Namen geben“ und ein „Heysesches Zeitalter“ dem Goetheschen folgen werde. 1910 wurde Heyse als erster deutscher Autor belletristischer Werke mit dem Nobelpreis für Literatur ausgezeichnet.