This image is the cover for the book Troubadour-Novellen, Classics To Go

Troubadour-Novellen, Classics To Go

Auszug: "Gegen Ende des zwölften Jahrhunderts war die Provence voll von dem Ruhm einer eben so weisen als schönen Dame, der Vizegräfin Beatrix von Beziers, Schwester des Vizegrafen Ademar, der nach dem Tode seines älteren Bruders Roger die Herrschaft über die lachenden Fluren und stolzen Schlösser seines Gebietes angetreten hatte. Er selbst war seit Jahren verwitwet, hatte seine beiden jungen Söhne an den Hof des Königs von Frankreich gesandt, dass sie dort frühzeitig ritterliche Künste und höfische Sitte lernten, und lebte mit der unvermählt gebliebenen Schwester auf der Burg von Beziers, die einsam zwischen dunklen Wäldern und zerstreuten Gehöften auf einer geringen Anhöhe lag und von ihren höchsten Turmzinnen nach Süden hinaus dem Blick bis ans Meer zu schweifen verstattete. Er war ein strenger, starrsinniger Herr, den man niemals lachen sah, außer über die Possen seines Narren, was er sich selber dann oft so übel nahm, dass er an dem armen Wicht, den er doch eigens zu solchem Dienste fütterte, seinen Ingrimm mit Peitschenhieben ausließ. Gesang und Tanz erschollen niemals auf der Burg von Beziers, obwohl die Provence von höfischen Sängern und Spielleuten wimmelte, und selbst als der Vizegraf noch ein jugendlicher Herr war, mied er die Weiber und schien auch seine eigene Schwester nur mit heimlichem Unmut neben sich zu dulden. Vor Jahren hatte er sie sehr geliebt und in Ehren gehalten, da sie ihm Hoffnung gab, mit einem Könige in nahe Blutsfreundschaft zu treten. Zwei Söhne mächtiger Fürsten warben damals um die Hand der Siebzehnjährigen, deren Schönheit, Sitte und heitere Klugheit weit über Frankreich hinaus gepriesen wurden: Heinrich’s II. von England zweitgeborener Sohn und der Erbe der Krone von Aragon. War es um der Nachbarschaft willen, oder weil der Sohn Peter’s von Aragon dereinst die Krone tragen sollte, genug, diesem Letzteren war das schöne Grafenkind verlobt worden; sie hatten bereits Briefe und Bildnisse getauscht, da machte ein Unfall die stolzen Hoffnungen zu Schanden: Beatrix stürzte mit dem Pferde auf der Reiherjagd, eine schwere Verletzung, die von unwissenden Ärzten falsch behandelt wurde, warf das junge Fräulein auf ein langwieriges Krankenlager, und als sie endlich, in ihrem zwanzigsten Jahre, für genesen erklärt ihre Marterstatt verlassen durfte, war das eine ihrer Beine gegen das andere so beträchtlich verkürzt, dass sie nur mit Hilfe eines Stabes zu gehen vermochte und jede Anstrengung des versehrten Gliedes mit großen Schmerzen bezahlen musste."

Paul Heyse

Paul Johann Ludwig Heyse, ab 1910 von Heyse (* 15. März 1830 in Berlin; † 2. April 1914 in München) war ein deutscher Schriftsteller, Dramatiker und Übersetzer. Neben vielen Gedichten schuf Heyse rund 180 Novellen, acht Romane und 68 Dramen. Heyses Biograf Erich Petzet rühmte die „Umfassenheit seiner Produktion“. Die Ausgabe der Werke, die Petzet 1924 besorgte, umfasst drei Reihen von je fünf Bänden, von denen jeder rund 700 Seiten zählt (darin sind nicht alle Werke enthalten). Der einflussreiche Münchener „Dichterfürst“. Heyse pflegte zahlreiche Freundschaften und war auch als Gastgeber berühmt. Theodor Fontane glaubte 1890, dass Heyse seiner Epoche „den Namen geben“ und ein „Heysesches Zeitalter“ dem Goetheschen folgen werde. 1910 wurde Heyse als erster deutscher Autor belletristischer Werke mit dem Nobelpreis für Literatur ausgezeichnet.

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