Auszug: "Ich war Student in Bonn, im zweiten Semester. Da es aber schon das sechste meiner ganzen Studienzeit war, hatte ich die tugendhaftesten Entschlüsse gefaßt, ehe mir das Moos gar zu üppig auf dem Scheitel wüchse, der grenzenlosen Zerstreuung meines Dichtens und Trachtens, der ich mich im Sommer überlassen, in diesem Winter endlich zu entsagen und mich auf wenige Aufgaben zu beschränken. Bei alledem sah mein Studienplan noch immer bunt genug aus. Die griechische Mythologie des ehrwürdigen alten Welcker, der mich mit väterlicher Güte aufgenommen, durfte ich nicht schwänzen. Cicero's Briefe, von Jacob Bernays erklärt, hatten durch sich selbst und den mir nah befreundeten Interpreten den lebendigsten Reiz für mich. Des alten Brandis Aesthetik mußte ich wohl oder übel besuchen, weil ich oft mit einem einzigen Anderen, der später durch seine »Anna Lise« bewies, daß er das Lehrgeld umsonst bezahlt hatte und trotz aller systematischen Doctrin ein ästhetischer Naturbursch geblieben war, das Zustandekommen der Vorlesung möglich machte. Blieben noch, außer der Göttlichen Komödie bei Diez, für den häuslichen Fleiß das spanische Theater, Geschichte der Baukunst, Böhl von Faber's Floresta, Kant's Kritik der reinen Vernunft und in den Mußestunden eine gewisse Francesca von Rimini, die schon bis zum dritten Act gediehen war und mir als Gegengewicht gegen die Alleinherrschaft der reinen Vernunft die besten Dienste leistete. Da ich aber keinem Corps angehörte, kein Kartenspieler war und vor Allem keine lyrischen Gedichte mehr machte – als angehender Dramatiker war ich über diese Schwäche erhaben, – so war der Tag noch immer lang genug, um all jene verschiedenartigen und scheinbar unverträglichen Bestrebungen friedlich unter den einen Hut zu bringen, den ich in sorglosem Uebermuth ziemlich tief im Nacken zu tragen pflegte."
Paul Heyse war ein deutscher Schriftsteller, der am 15. März 1830 in Berlin geboren wurde und am 2. April 1914 in München starb. Er gilt als einer der bedeutendsten deutschen Dichter des 19. Jahrhunderts und erhielt im Jahr 1910 den Nobelpreis für Literatur. Heyse wurde in eine wohlhabende Familie hineingeboren und erhielt eine umfassende Bildung. Er studierte zunächst Jura in Berlin, wandte sich jedoch schnell der Literatur zu. Schon früh begann er Gedichte und Novellen zu veröffentlichen und wurde in den literarischen Kreisen seiner Zeit bekannt. Heyse schrieb in verschiedenen Genres, darunter Romane, Novellen, Dramen und Gedichte. Seine Werke zeichnen sich durch einen eleganten Stil, eine präzise Beobachtungsgabe und eine feine psychologische Darstellung aus. Er war ein Vertreter des poetischen Realismus und des Bürgerlichen Realismus. Besonders bekannt wurde Heyse für seine Novellensammlungen, in denen er das Leben der einfachen Menschen einfühlsam und realistisch darstellte. Einige seiner bekanntesten Werke sind "L'Arrabbiata", "Kinder der Welt" und "Im Paradiese". Er war auch als Übersetzer tätig und übertrug unter anderem Werke von Dante, Cervantes und Shakespeare ins Deutsche. Heyse war ein angesehener Schriftsteller seiner Zeit und wurde vielfach ausgezeichnet. Neben dem Nobelpreis erhielt er auch den Orden Pour le Mérite für Wissenschaften und Künste sowie den Bayerischen Maximiliansorden für Wissenschaft und Kunst. Paul Heyse verbrachte einen Großteil seines Lebens in München, wo er an der Ludwig-Maximilians-Universität lehrte. Er war mit vielen bedeutenden Künstlern und Schriftstellern seiner Zeit befreundet, darunter Theodor Fontane und Gottfried Keller. Mit dem Aufkommen des Naturalismus geriet Heyse jedoch in literarische Konflikte und geriet in den Schatten anderer Autoren. Dennoch hinterließ er ein umfangreiches literarisches Werk, das seinen Platz in der deutschen Literaturgeschichte sicher hat.