This image is the cover for the book Marienkind, Classics To Go

Marienkind, Classics To Go

Auszug: "Auf der Landstraße, die in geringer Entfernung von dem Eisenbahndamm zwischen Wiesen und Wäldern dem Gebirge zuläuft, schritt eines schwülen Nachmittags im Hochsommer ein hagerer, langer Herr dahin, rüstigen Fußes trotz seiner fünfundsechzig Jahre. Auf seiner hohen, starkgewölbten Stirn, um welche sich dünne, graue Haarbüschel wunderlich in schmalen Streifen herumlegten, standen große Schweißtropfen und perlten auch auf der mächtigen Hakennase und den glatt rasierten Wangen, obwohl er sich’s nach Möglichkeit bequem gemacht hatte. Nur eine große, beulenreiche Botanisiertrommel hing ihm an der Seite, doch schien sie nicht allzu schwer zu sein. Den grauen Sommerrock hatte er ausgezogen und an die Spitze des leinenen Sonnenschirmes gehängt, den er nachlässig geschultert in der Linken trug. In der andern Hand hielt er seinen braunen Strohhut, mit dem er sich fleißig Kühlung zufächelte. Denn allerdings war die Luft hier zwischen den dichten, windstillen Föhren und Buchen unleidlich heiß und stickig und das Wandern auf der verregneten Straße, wo es galt, alle Augenblicke einer schlammigen Lache auszuweichen und von einem Steininselchen zum andern zu springen, beschwerlich genug. Auch waren die leinenen Gamaschen des alten Herrn unter den aufgekrämpten grauen Beinkleidern bis hoch hinauf bespritzt und die Perlmutterknöpfchen hatten ihren Glanz völlig verloren."

Paul Heyse

Paul Johann Ludwig Heyse, ab 1910 von Heyse (* 15. März 1830 in Berlin; † 2. April 1914 in München) war ein deutscher Schriftsteller, Dramatiker und Übersetzer. Neben vielen Gedichten schuf Heyse rund 180 Novellen, acht Romane und 68 Dramen. Heyses Biograf Erich Petzet rühmte die „Umfassenheit seiner Produktion“. Die Ausgabe der Werke, die Petzet 1924 besorgte, umfasst drei Reihen von je fünf Bänden, von denen jeder rund 700 Seiten zählt (darin sind nicht alle Werke enthalten). Der einflussreiche Münchener „Dichterfürst“. Heyse pflegte zahlreiche Freundschaften und war auch als Gastgeber berühmt. Theodor Fontane glaubte 1890, dass Heyse seiner Epoche „den Namen geben“ und ein „Heysesches Zeitalter“ dem Goetheschen folgen werde. 1910 wurde Heyse als erster deutscher Autor belletristischer Werke mit dem Nobelpreis für Literatur ausgezeichnet.

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