This image is the cover for the book Der Engel mit dem Spleen, Classics To Go

Der Engel mit dem Spleen, Classics To Go

Auszug: "Ich warne unbefangene Leute, sich in diese Geschichte einzulassen, die sich aus Kriminalitäten und Unwahrscheinlichkeiten zusammensetzt und vielleicht nicht einmal zeitgemäß scheint. Es werden in ihr die Menschen weder verdorben noch zu jenen dekorativen Läuterungen aufgerufen, mit denen der dichtende Schwert-Adel heute seine Unvollkommenheit zu echter Männlichkeit behängt. Man wird die Bürger darin am Leben gelassen und die Arbeiter nicht mit Verbeugungen bedacht finden und weder um Generäle noch um Kapitäne der Kohle jenes Wesen gemacht sehen, das nicht ihnen, sondern der Geschichte zukommt Man wird eine lächerlich phantastische Angelegenheit hinzunehmen haben, die vielleicht nicht einmal gut erzählt ist, weil sie des Nachts statt in einem Eisenbahnabteil in einer abscheulichen Landkutsche erzählt wurde, die zu heftig nach Apfelsinen und Zigaretten roch, um nicht Kopfschmerzen zu machen. Ich klage den Chef der Bahnen nicht an, daß unser Jahrhundert zerrüttet ist, vielmehr versuche ich für den Leser die Verbindung zu einer Zeit herzustellen, wo die Launen der Menschen noch stichhaltigere Werte waren wie heute ihre Verzweiflung. Man wird gewiß heute einen Mord ebenso zu kaufen bekommen wie eine verbotene Banknote, aber der Hunger und die Geschäfte der Börse werden die Erinnerung daran zerstört haben, daß es Zeiten gab, die so unmenschlich vollendet schienen, daß es Genies bedurfte, um sich jene Anregungen der Herzen zu verschaffen, die man Leidenschaften heißt."

Kasimir Edschmid

Kasimir Edschmid (* 5. Oktober 1890 in Darmstadt; † 31. August 1966 in Vulpera, Engadin; eigentlich Eduard Schmid) war ein deutscher Schriftsteller, der anfänglich dem Expressionismus zuzuordnen ist. Nach dem Zweiten Weltkrieg bekleidete er hohe literarische Ämter. Nach ausgedehnten Reisen in den Mittelmeerraum, nach Afrika und Südamerika entstand eine Reihe von Büchern, die über Jahre hinweg eine neue Form der Reiseliteratur repräsentierten. 1933 wurden auch Werke von Edschmid im Rahmen der nationalsozialistischen Bücherverbrennung vernichtet. Es folgten Rede- und Rundfunkverbot, zum Teil auch Schreibverbot. Er blieb indessen – anders als seine Lebensgefährtin Erna Pinner – im Land und hielt sich mit unverdächtigen Veröffentlichungen im Dritten Reich über Wasser, womit er zu denen zählte, die den Weg der so genannten Inneren Emigration wählten.

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