This image is the cover for the book Fünf neue Novellen Sechste Sammlung, Classics To Go

Fünf neue Novellen Sechste Sammlung, Classics To Go

Auszug: "Zu Anfang unseres Jahrhunderts lebte in der Haupt- und Residenzstadt eines bescheidenen mitteldeutschen Fürstenthums ein Mann, Franz Alzeyer mit Namen, dem die stockende Luft seines Vaterländchens von Jahr zu Jahr beschwerlicher ward, so daß er keinen Anlaß versäumte, sich durch Hohnreden über Alles, was seinen Mitbürgern ehrwürdig schien, die Brust zu erleichtern. In seinem ansehnlichen Hause am Stadtgraben, das nur mit einem schmalen Giebel in die Straße schaute, dünkte er sich wie in einem Gefängniß, obwohl er aus der Hinterthür frank und frei zu den Bäumen drüben am eingesunkenen Burgwall spazieren konnte, ohne die Thorstunde einzuhalten. Er hatte aber als ein junger Gesell viele Jahre auf der Wanderschaft verbracht, war durch Frankreich gestreift und sogar über die Berge ein Stück ins Spanische hinein, von wo viel zu früh, da das wilde Blut noch lange nicht verbraus't war, der Tod seines Vaters ihn heimgerufen hatte, damit er das verwais'te Geschäft, eine große Meerschaumschnitzerei, in die Hand nähme. Gekommen war er freilich, aber ein Stück Herz hatte er drüben in der Fremde hängen lassen, wo es auch verblieb, selbst nachdem er eine liebe und schöne Frau genommen hatte, die ihm zwei Kinder gebar, einen Sohn und eine Tochter, beide der Mutter ähnlicher als dem Vater. Den Knaben nannte er nach dem einzigen Deutschen, den er für einen großen Mann gelten ließ, Friedrich; für das Mägdlein war er lange um eine würdige Taufpathin in Verlegenheit, da er eine tiefe Geringschätzung aller deutschen Weiber zur Schau trug. Zuletzt warf er seine Augen auf die russische Zaarin Katharina, von der er viel erstaunliche Abenteuer gehört und gelesen hatte, und nannte sein blondes zartes Kind nach dieser gewaltigen Dame, in der Hoffnung, daß ihr Name und Vorbild etwas Gescheiteres aus dem Mägdlein machen werde, als eine langweilige deutsche Hausfrau."

Paul Heyse

Paul Heyse war ein deutscher Schriftsteller, der am 15. März 1830 in Berlin geboren wurde und am 2. April 1914 in München starb. Er gilt als einer der bedeutendsten deutschen Dichter des 19. Jahrhunderts und erhielt im Jahr 1910 den Nobelpreis für Literatur. Heyse wurde in eine wohlhabende Familie hineingeboren und erhielt eine umfassende Bildung. Er studierte zunächst Jura in Berlin, wandte sich jedoch schnell der Literatur zu. Schon früh begann er Gedichte und Novellen zu veröffentlichen und wurde in den literarischen Kreisen seiner Zeit bekannt. Heyse schrieb in verschiedenen Genres, darunter Romane, Novellen, Dramen und Gedichte. Seine Werke zeichnen sich durch einen eleganten Stil, eine präzise Beobachtungsgabe und eine feine psychologische Darstellung aus. Er war ein Vertreter des poetischen Realismus und des Bürgerlichen Realismus. Besonders bekannt wurde Heyse für seine Novellensammlungen, in denen er das Leben der einfachen Menschen einfühlsam und realistisch darstellte. Einige seiner bekanntesten Werke sind "L'Arrabbiata", "Kinder der Welt" und "Im Paradiese". Er war auch als Übersetzer tätig und übertrug unter anderem Werke von Dante, Cervantes und Shakespeare ins Deutsche. Heyse war ein angesehener Schriftsteller seiner Zeit und wurde vielfach ausgezeichnet. Neben dem Nobelpreis erhielt er auch den Orden Pour le Mérite für Wissenschaften und Künste sowie den Bayerischen Maximiliansorden für Wissenschaft und Kunst. Paul Heyse verbrachte einen Großteil seines Lebens in München, wo er an der Ludwig-Maximilians-Universität lehrte. Er war mit vielen bedeutenden Künstlern und Schriftstellern seiner Zeit befreundet, darunter Theodor Fontane und Gottfried Keller. Mit dem Aufkommen des Naturalismus geriet Heyse jedoch in literarische Konflikte und geriet in den Schatten anderer Autoren. Dennoch hinterließ er ein umfangreiches literarisches Werk, das seinen Platz in der deutschen Literaturgeschichte sicher hat.

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