This image is the cover for the book Der verlorene Sohn, Classics To Go

Der verlorene Sohn, Classics To Go

Auszug: "Man nannte sie einen wunderlichen Charakter. – Viele behaupteten, sie sei unliebenswürdig und kaltherzig, wenige nahmen sie in Schutz und versicherten, hinter ihrem kühlen, schroffen Wesen berge sich ein tiefes Gefühl, ein warmes und großes Empfinden, welches jedoch ängstlich versteckt werde, wie ein Licht unter dem Scheffel. Wer in seinem Elternhause nur militärische Präzision, Kommandos und soldatischen Drill gewöhnt sei, müsse ja jede weichere und zärtlichere Regung des Herzens als Gefühlsduselei und lächerliche Sentimentalität erachten. Fräulein Malwine von Ries sei das Ebenbild des Vaters, ein Soldat in Mädchenkleidern. Was Pflichtgefühl, Ehre, Rechtschaffenheit bedeute, sei ihr voll bewusst, aber die Passionen ihrer Altersgenossinnen, ein lyrisches Gedicht zu lesen, abends an dem geöffneten Fenster in Lenzesduft und Mondenschein hinaus zu schwärmen, ein Ballkleid entzückend und ein totes Vögelchen zum Herzbrechen traurig zu finden, diese schwärmerischen Anwandlungen seien ihr geradezu unverständlich und wohl auch in tiefster Seele zuwider. Ob Fräulein Malwine sich wohl jemals verlieben könne und werde?"

Nataly von Eschstruth

Nataly (Natalie) Auguste Karline Amalie Hermine von Eschstruth (Ehename: Nataly von Knobelsdorff-Brenkenhoff) (* 17. Mai 1860 in Hofgeismar, Kurfürstentum Hessen; † 1. Dezember 1939 in Schwerin, Mecklenburg) war eine deutsche Schriftstellerin und eine der beliebtesten Erzählerinnen der wilhelminischen Epoche. Sie schildert in ihren Unterhaltungsromanen in eingängiger Form vor allem das Leben der höfischen Gesellschaft, wie sie es aus eigener Anschauung kannte.